Was ist eigentlich

Gestalttherapie?

 

Sei, der du bist und der du
noch werden kannst!

 

Wenn ich Menschen erklären möchte, was Gestalttherapie ist, dann stelle ich oft als Erstes eine Frage: "Wenn dir kalt ist, was machst du dann?" - In der Regel kommen solche Antworten: "Ich ziehe was Warmes an", "ich drehe die Heizung auf", "ich trinke einen heißen Tee", "ich nehme ein heißes Bad" usw. Meine zweite Frage lautet: "Woher weißt du, dass genau DAS das richtige ist?" - "Aus Erfahrung", meinen dann einige. Wir kennen also in der Regel nicht nur unser "Problem", sondern auch unsere "Lösung" - jene nämlich, die uns hilft, ein Bedürfnis, eine "Gestalt" zu schließen. Denn Hunger, Kälte, Sehnsucht usw. sind offene Bedürfnisse. Das ist bereits Teil der Gestalttherapie.

 

Aber das Wort "Gestalt" meint auch unser menschliches Wesen, unsere Personalität. Unser Leben ereignet sich in Zyklen. Wir stehen morgens auf und legen uns abends zum Schlafen wieder hin. Dazwischen ereignen sich viele Dinge, die uns prägen und verändern. In der Regel schließen wir jeden Tag den Zyklus, wenn wir zufrieden sind. Manchmal bleibt ein Zyklus aber "offen", so zum Beispiel, wenn wir im Streit auseinandergehen. Oder auf das gesamte Leben hin betrachtet sind viele "Gestalten" unserer Kindheit nicht geschlossen, wenn wir zum Beispiel von Eltern, Geschwistern oder Klassenkameraden gekränkt wurden. Mit diesen Themen wenden sich Menschen dann z.B. an mich.

 

Dein wahres ICH wohnt schon längst in dir!

 

Von Michelangelo wird erzählt, dass er - der ein herausragender Künstler war - aus großen Marmorblöcken großartige Skulpturen erschuf. Einmal, so erzählt eine Legende, habe eine reiche Familie ihn besucht, um sich von seiner Schaffenskraft zu überzeugen. "Michaelangelo", so fragte die vornehme Dame ihn, "wie machen Sie das, dass aus diesem Marmor ein Reiter auf einem Pferd wird?" Der Künstler soll nur geantwortet haben: "Ich mache gar nichts! Die Skulptur ist bereits im Marmorblock -  ich schlage nur das ab, was überflüssig ist!"

 

Genau so kann man sich die Arbeit des gestalttherapeutischen Coach vorstellen. Er stellt dem Klienten Werkzeug zur Verfügung, damit dieser alles "entfernen" (auflösen) kann, was überflüssig ist, und ihn daran hindert, seine eigentliche Gestalt zu leben.

 

Das Menschenbild der Gestalttherapie

 

Die Gestalttherapie ist ein erlebnisorientierter tiefenpsychologischer und systemtheoretischer Ansatz, der auf einem humanistischen Menschenbild gründet. Im Hier und Jetzt der geschützten Therapiesituation werden die Kontaktfähigkeit zu sich und anderen, sowie die Einsicht in die eigene Lebenssituation gefördert.

 

Daher wird therapeutische Beziehung von Wertschätzung und einer empathischen Haltung getragen. Der Mensch wird grundsätzlich als fähig angesehen, sein Leben sinnvoll zu gestalten und Störungen als sogenannte „Sackgassen“ aus eigener Kraft zu überwinden. Mit zunehmender Fähigkeit, sich als Teil einer Gemeinschaft zu verstehen (z.B. Familie, Arbeitsteam, Gesellschaft) und aus diesem Verständnis heraus situationsgemäß zu handeln, wächst die soziale Kompetenz und die Möglichkeit, mit sich und der Welt besser zurecht zu kommen. Die Selbstverantwortung wird gefördert.

Welche Gestalt verleiht meinem Leben Sinn?

 

Methodisch eröffnet die Gestalttherapie eine Vielfalt psychotherapeutischer Arbeitsmöglichkeiten: etwa mit Träumen und inneren Bildern, mit dem unmittelbaren Erleben von Gefühlen und Körperempfindungen, mit Ausdrucksmitteln wie Malerei und Modellieren, mit Rollenspielen und Beziehungsklärungen. Durch die Identifikation mit weniger vertrauten Aspekten des Lebensraums werden völlig neue Einsichten gewonnen. So können z.B. verschiedene Persönlichkeitsanteile durch Methoden, wie z.B. der "Stuhlarbeit", dem "Inneren Kind" bzw. dem "Inneren Team" angeschaut werden. Unbewusste Seiten der Persönlichkeit, verdrängte Wünsche und Bedürfnisse werden bewusst gemacht und in die Gesamtpersönlichkeit integriert.

 

Unser Leben verläuft in Zyklen!

 

Unser ganzes Leben verläuft kreisförmig, zyklisch, aber immer fortlaufend. Nein, wir drehen uns nicht im Kreis. Ist ein Kreis zu Ende, beginnt der nächste. 

 

In der Gestalttherapie nennt man dies Gestaltzyklus. Manche haben es auch Gestaltwelle genannt. Wir erleben viele Gestalten unseres Lebens als "vollendet", eine "runde Sache" sagen wir dann.

 

Aber manche dieser Gestaltzyklen sind noch offen. Das heißt: Wenn sich der 52jährige Sohn am Sterbebett seines Vaters verabschieden will, aber weder im Laufe seines Lebens noch in diesem Moment von seinem Vater hört, dass er ihn liebt und stolz auf ihn ist, bleibt eine "Gestalt" in uns offen. Nämlich genau jene, die von Anerkennung und Wertschätzung lebt.

 

Wir können das zwar nachsozialisieren, aber dennoch: Ein Schmerz, eine Wunde, eine Kränkung bleibt. Die therapeutische Arbeit versucht nun, im Nachhinein diese Gestalt zu schließen und zu heilen.